Die heilige Cäcilie und Engel
Fenster über der Orgelempore der Minoritenkirche

 

 

Lange Nacht der Kirchen 2014
in der Minoritenkirche



Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik

Meditation
für die "Lange Nacht der Kirchen" am 23. Mai 2014

verfaßt von Dr. Manfred Zips



Rollen:

Erster Erzähler  (Dr. Manfred Zips),
Zweiter Erzähler  (Mag. Giacomo Borioni),
Rezitator 
(Christiane Zips),
Verdin 
(P. Thomas Manalil OFM.),
Vinciguerra  (Dr. Christoph Kospach),
Iseppi 
(Bernhard Griessner),
Giacomelli 
(Dr. Christoph Kospach),

Musik:
Mario Eritreo (Harmonium)
Fabian Bertoncello (Geige)



 

Meditationen:

  Antonius von Padua (2009)
 
Giordano da Giano (2009)
 
Jacopone von Todi (2009)
 
Franziskus (2010)
 
Coelestin V. (2011)
 
Westportal (2011)
 
Ludwig von Toulouse (2012)
 
Heilige der Kongregation (2013)
 
Heilige Cäcilie (2014)
 
790 Jahre Minoriten (2014)
  230 Jahre Maria Schnee (2014)
  Klemens M. Hofbauer (2014)
 
Katharinenkapelle (2015)
  390 Jahre It. Kongregation (2015)
 
Frauen im Banne der Minoritenkirche (2016)
 
Eine Liebeserklärung in Stein (2016)
   Franziskus v. Assisi (2018)


 L.N.K. in der Minoritenkirche

 

 


Rom, Santa Cecilia in Trastevere
Bild: Lalupa, PD


Heilige Cäcilie, Skulptur von Stefano Maderna
Bild: Rémi Jouan, cc-by-sa 3.0


Mittleres neugotisches Fenster der Wr. Minoritenkirche

 
Details:
Johannes der Täufer / Katharina v. Alexandria
 

ERSTER ERZÄHLER: Den Titel Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik gab
Heinrich von Kleist einer kurzen Erzählung, die er eine Legende nannte. Darin beschreibt er das „schreckliche und herrliche Wunder“ – so seine Worte – durch welches die Heilige die Zerstörung einer ihr geweihten Kirche in Aachen zur Zeit der Reformation verhindert.
Cäcilia lähmt durch ihr Orgelspiel die Bilderstürmer und lässt sie sogar in wahnhafte Bigotterie fallen.

ZWEITER ERZÄHLER: Grundlage dieser Erzählung ist die christliche Überlieferung, dass Cäcilia von Rom, die in der ersten Hälfte des 3. Jhs. den Märtyrertod erlitten haben soll, nicht nur seit der Mitte des 5. Jhs. als eine der volkstümlichsten Heiligen und als Nothelferin sondern seit dem Spätmittelalter auch als Patronin der Kirchenmusik Verehrung genießt – wahrscheinlich letztlich das Ergebnis eines Übersetzungsfehlers in einer lateinischen Antiphon. Ihr ist die frühchristliche römische Kirche Santa Cecilia in Trastevere geweiht, die Papst Paschalis I. im 9. Jh. neu aufbauen ließ, um eine würdige Gedenkstätte für die Heilige zu schaffen.

ERSTER ERZÄHLER: Ihre Hinwendung zur Kirchenmusik und speziell zum Orgelspiel ist seit dem Mittelalter ein fester Bestandteil der christlichen Tradition geworden. Sie beruht auf der Legende, dass Cäcilia zu ihrer Hochzeit selbst die Orgel angestimmt habe. Hingegen gehört die Frage nach der historischen Existenz der Märtyrerin und den Ursprüngen ihrer Verehrung zu den ungeklärten Problemen der römischen Heiligenverehrung.

ZWEITER ERZÄHLER: Die Verbindung Cäcilias mit der sakralen Musik ist – wie schon gesagt - sehr konstant. So schuf etwa der Barockkomponist Henry Purcell (+ 1695) 1683 ein Laudate Ceciliam, Georg Friedrich Händel komponierte 1739 eine Ode for St. Cecilia’s Day auf der Grundlage eines Gedichts des Engländers John Dryden (1631-1700), und noch 1942 entstand Benjamin Brittens Hymn to St. Cecilia. Aber auch die Malerei griff dieses Thema auf. Bekanntheit erlangte etwa das Bild von Carlo Saraceni (um 1610 geschaffen), das Cäcilia mit der Laute und einen Engel mit der Bassgeige darstellt, welches heute im Besitz der Galleria Nazionale d’Arte Antica zu Rom ist.

ERSTER ERZÄHLER: Diese Kombination einer musizierenden Cäcilia mit Engeln, die sich ebenfalls musikalisch betätigen, findet sich auch in der Minoritenkirche, und zwar auf dem mittleren, neugotischen Glasfenster der Westseite unseres Gotteshauses über der Orgel, übrigens das einzige große Fenster in der Kirche, das menschliche Darstellungen zeigt. Man sieht hier die Heilige, welche auf der Orgel den Gesang dreier Engel begleitet, während ein weiterer Engel zu ihren Füßen die Märtyrerpalme hält.
An den Seiten stehen Johannes der Täufer sowie Katharina von Alexandrien; oberhalb spielen vier Gottesboten verschiedene Musikinstrumente, während am unteren Ende des Fensters die Medaillons der Eltern des Wohltäters zu sehen sind, auf dessen Initiative die Arbeit zurückgeht.

ZWEITER ERZÄHLER: Auf der Grundlage der zur Zeit durchgeführten digitalen Erfassung der Dokumente der italienischen Kongregation ist es möglich, die Genese dieses Votivfensters zu rekonstruieren und hier erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren; damit wird ein Stück Wiener Kunstgeschichte der Zeit um 1900 im Detail nacherlebbar.

ERSTER ERZÄHLER: Auskunft über dieses große und reich illustrierte bunte Glasfenster erhält man durch die Lektüre der Protokolle der sogenannten Consulta, dem Rat der Congregazione italiana aus den Jahren 1899-1903.
So berichtete der damalige Präfekt Giacomo Crepaz in der Sitzung vom 14. Juli 1899, dass ein gewisser Oscar Bene der Kirche ein Legat von 10.000 Gulden hinterlassen habe, mit der Auflage, ein buntes Glasgemälde zur Erinnerung an seine Eltern anfertigen zu lassen und für dessen Erhaltung zu sorgen; auch sollte dieses mit einer entsprechenden Inschrift versehen werden. In zwei Briefen des Anwalts sowie des Testamentvollstreckers werden die Konditionen, welche mit der Annahme des Vermächtnisses verbunden sind, genau umrissen: Bei einer Zustimmung müsse die Kongregation für die anfallenden Steuern sowie für die Versicherung und Pflege des Werkes aufkommen, dürfe aber festlegen, wo das Votivfenster anzubringen sei und bis zu welchem Betrag dessen Errichtung in Frage komme. – Nach einer lebhaften Debatte fasst die Consulta den einstimmigen Beschluss zur grundsätzlichen Annahme des Legats unter der Voraussetzung, dass die Anfertigung des Fensters sowie die damit verbundenen Nebenkosten genügend finanziellen Spielraum zur Erhaltung des Kunstwerkes lassen würden. Dem Exekutor sei die Wahl eines der drei Fenster oberhalb des Portals der Kirche zugestanden. Die Kongregation spricht aber den Wunsch aus, die Inschrift – dem Charakter der italienischen Nationalkirche entsprechend - in italienischer oder lateinischer Sprache abzufassen. Schließlich wurde es ein lateinischer Text.


Paschalis I.
Rom, Santa Prassede
Bild: Wikimedia, PD


Hl. Cäcilia von Carlo Saraceni
Bild: Web Gallery of Art, PD


Detail: Eltern des Stifters Oscar Bene


Entwurfszeichnung


Detail: Mittelteil


Dr. Antonio Verdin di Valsilvella
Gedenkstein in der Sakristei


Prof. Viktor Luntz
Bild: © onb.ac.at
 

ZWEITER ERZÄHLER: Die für die Errichtung des Votivfensters entscheidende Sitzung fand am 26. Jänner 1900 statt. Lassen wir die Hauptakteure der Verhandlung im Folgenden selbst sprechen, denn die sehr detaillierten Protokolle ermöglichen einen recht guten Einblick in den Sitzungsverlauf.

Einleitend gibt der Präfekt bekannt, dass er zu dem heutigen Treffen auch den Architekten und Experten Luigi Giacomelli di Monterosso (Vita) mit der Bitte um Stellungnahme eingeladen habe und erteilt darauf dem Kommissionsvorsitzenden der italienischen Kongregation Dr. Antonio Verdin di Valsilvella das Wort.

VERDIN: Ausgehend von dem vorliegenden Beschluss der Consulta sowie des Convocato (der Vollversammlung), das Legat des verstorbenen Oscar Bene anzunehmen, bat ich den Testamentvollstrecker, einen Herstellungsplan sowie einen Kostenvoranschlag vorzubereiten. Nach dieser Aufstellung würden der Kongregation nur mehr 375 Gulden für die Erhaltung des Glasfensters verbleiben. Bei jener Berechnung ging man allerdings davon aus, das Glasgemälde von der Firma Carl Geylings Erben (Info) angefertigen zu lassen, während die Glasmalereiwerkstätte Carl Glössl, die ja immerhin einen Großteil der hochgelobten Votivfenster in der Breitenseerkirche schuf, für die Durchführung eines solchen Projekts einen weit niedrigeren Preis verrechnen würde. Auch dürfte das von dem zweitgenannten Unternehmen vorgeschlagene Motiv besser zum Patrozinium unserer Maria Schnee – Kirche passen. Doch hier stoßen wir auf den Widerstand des Kurators der Erbschaft Bene und dessen Klientel, die auf jeden Fall eine Verwirklichung des Projektes Geyling wünschen. Die Durchsetzung unseres Vorschlags könnte zwar viele Freunde gewinnen, sie würde jedoch notwendigerweise zu einem Streit mit den Erben führen und vielleicht sogar das gesamte Vorhaben gefährden. Andrerseits ist zu bedenken, dass der Erblasser ausdrücklich „bis zu 10.000 Gulden“ geschrieben hat, was eine Erhöhung der Erbschaftssumme jedenfalls ausschließt. Für die Glasmalerei Geyling spricht, dass der von dieser Firma präsentierte Entwurf sehr gut mit dem vom Architekten Prof. Viktor Luntz (Info) von der Kunstakademie vorgelegten Plan zur Restaurierung der Kirche harmoniert. In dieser schwierigen Lage sieht die von der Kongregation eingesetzte Kommission nur drei gangbare Wege: Senkung der Baukosten für die Kirche, Beauftragung der Firma Glössl, das Projekt Geyling zu verwirklichen oder das Atelier Carl Geylings Erben zu einer Preissenkung zu bewegen.
 

ERSTER ERZÄHLER: An der nachfolgenden Diskussion beteiligten sich das Vorstandsmitglied Vinciguerra, der Sekretär Iseppi sowie schließlich der Architekt Giacomelli. In dieser Reihenfolge mögen sie nun zu Wort kommen.


Rosette unseres neugotischen Mittelfensters


Architektur im Fenster



Umbauentwurf des Viktor Luntz


Christiane Zips rezitiert Kleists
Die hl. Cäcilie oder die Macht der Musik


Erzähler: Zips & Borioni





 


 

VINCIGUERRA: Wir dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass jenes geplante Glasgemälde einen Beitrag zur künstlerischen Bereicherung unserer Kirche leisten soll; es hat in erster Linie die Funktion, die Schönheit des Gotteshauses durch ein weiteres Schmuckstück zu erhöhen. Demgegenüber kommt dem finanziellen Ertrag eine geringere Bedeutung zu.

ISEPPI: Ohne die Meinung des Herrn Vinciguerra nur im Geringsten schmälern zu wollen, muss ich doch betonen, dass es nicht akzeptabel ist, wenn der Wunsch einer einzelnen Person, auch in Verbindung mit einer höheren finanziellen Zuwendung, auf Grund nicht zu ändernder Gegebenheiten, zum beinahe unerfüllbaren Diktat für eine Institution wie unsere Congregazione wird.

VERDIN: Obwohl ich für den Vorbehalt des Sekretärs Iseppi volles Verständnis habe, nicht zuletzt deshalb, da er eine Meinung äußert, die auch innerhalb der Kommission vertreten wurde, stimme ich der Ansicht des Consultore Vinciguerra zu und wende mich daher an den Herrn Architekten Giacomelli mit der Frage, ob es bei den vorgesehenen Baukosten noch eine Einsparungsmöglichkeit gibt.

GIACOMELLI: Ein diesbezügliches Übereinkommen mit der Firma Geyling könnte natürlich auch die Restaurierungskosten für die Kirche senken. Voraussetzung sind allerdings verbindliche Arbeits- und Preisabsprachen zwischen der Glasmalerei Carl Geylings Erben und der Baufirma, welcher die Umgestaltung der Kirche anvertraut wurde.

 

ERSTER ERZÄHLER: Dieser Vorschlag Giacomellis fand ebenso ungeteilte Zustimmung wie der Bericht Verdins.

ZWEITER ERZÄHLER: Schon in der darauf folgenden Sitzung vom 10. April 1900 konnte Verdin der Kongregation ein erfreuliches Verhandlungsergebnis mitteilen: Zwar musste man das Projekt der Firma Geyling akzeptieren, dafür konnten aber – dank der Intervention Giacomellis - die Gesamtkosten für die Errichtung des Glasgemäldes um 1450 Gulden gesenkt werden. Da inzwischen auch die staatliche sowie kirchliche Zustimmung zu dem Vorhaben erfolgt war, stand der Auftragserteilung nichts mehr im Wege.


Borioni, Kospach, P. Manalil

 

 

 

 

 











 


Einladung zum Hochamt am 25.11.1900
deutsche Fassung
 

 

ERSTER ERZÄHLER: Im Protokoll der außerordentlichen Sitzung vom 19. November 1900 wird notiert, dass Antonio Verdin di Valsilvella, der inzwischen Präfekt geworden war, von der Fertigstellung des Votivfensters berichtet hat. Dieser lädt alle Mitglieder der Congregazione zur Teilnahme am Hochamt für den verstorbenen Oskar Bene am
25. November 1900 (Info) ein, der „unsere Nationalkirche mit einem schönen Votivfenster geschmückt hat“ und damit auch einen Beitrag zum „Restaurierungswerk unserer altehrwürdigen Kirche“ leistete; gleichzeitig betont Verdin, dass auch die kirchlichen und zivilen Autoritäten, die Minister, der Statthalter, der Bürgermeister und viele andere gebeten wurden, an der Inauguration teilzunehmen. Insgesamt seien 600 Einladungen verschickt worden. Abschließend bittet der Präfekt um die Ermächtigung, der Firma Carl Geylings Erben für die Gestaltung des von Experten sehr gelobten Werkes danken zu dürfen.

Als Beilage findet sich im Protokoll eine Einladung zu jener Feier in deutscher und italienischer Sprache, wobei der italienische Text die Zusammenhänge etwas genauer wiedergibt. indem eindeutig von einer Erbschaft die Rede ist und die Anbringung des großen Votivfensters an der Fassade erwähnt wird.

ZWEITER ERZÄHLER: Noch drei weitere Male wird in Protokollen der Consulta die Erbschaft Bene erwähnt. Am 9. Februar 1901 erhält Präfekt Verdin die Vollmacht, den Wartungsvertrag für das Votivfenster abzuschließen, am 11. Mai des gleichen Jahres steht fest, dass die Annahme des Legats sowie die Schaffung des Kunstwerkes der Kongregation einen Reingewinn von 386 Kronen erbracht hat, der allerdings im Jahre 1903 bereits wieder aufgebraucht war.
 


Einladung zum Hochamt am 25.11.1900
italienische  Fassung


              Pfarrkirche Kritzendorf                     Pfarrkirche Steyr
                 
Bild: Bwag, cc-by-sa 3.0                                                  Bild: Zips



 

ERSTER ERZÄHLER: Zum besseren Verständnis der Situation erscheint es angebracht, einige Worte über die beiden genannten Glasmalereifirmen Carl Geylings Erben und Carl Glössl einzuflechten. Erstere geht – wie man der Internetenzyklopädie Wikipedia entnehmen kann - auf den Glas- und Landschaftsmaler Franz Carl Michael Geyling (1814-1880) zurück, der als k.k. Hofglasmaler wirkte. Er schuf zahlreiche Glasgemälde, z.B. für den Wiener Stephansdom, für die Malteser- und Deutschordenskirche, für die Votivkirche sowie für die Landhauskapelle in Wien und den Gemeinderatssitzungssaal des Alten Rathauses, aber auch für den Dom von Kaschau und für die Krönungskapelle Bratislava. Nach seinem Tod übernahm sein Neffe Rudolf Geyling (1839-1904), selbst Maler und Absolvent der Wiener Akademie der bildenden Künste, die Leitung der Glasmalerei „Carl Geylings Erben“. In den 20 Jahren seiner Leitung entstanden viele tausend kunstvolle Glasfenster in Kirchen und Monumentalbauten in ganz Europa. Allein im Jahre 1884 schuf die Werkstatt zirka 200 Kirchenfenster und über 1200 Fenster für Privatbauten, aus Wien wären die Kirche Maria am Gestade, die Votivkirche sowie die Kirche am Steinhof zu nennen. Drei Glasgemälde sollen hier als Beispiele dienen: jenes in der Pfarrkirche Kritzendorf (1856), das 900-Jahre-Jubiläumsfenster in der Stadtpfarrkirche Steyr (1880) sowie die Darstellung „Flucht nach Ägypten“ in der Mariahilfer Kirche (1898). 1997 wurde die Glasmalerei Geyling vom Stift Schlierbach in Oberösterreich übernommen, doch es existiert auch heute noch eine Glasmalerei Geyling in Wien. Zu erwähnen bleibt noch der Großneffe Carl Geylings, nämlich der bekannte Jugendstil-Maler Remigius Geyling (1878-1974), der das Hochaltarmosaik in der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof geschaffen hat und von 1922-1945 Ausstattungschef des Wiener Burgtheaters war.
 


Mariahilfer Kirche
Bild: Joyborg, PD



 


Pfarrkirche Breitensee, Apsis
Bild: Zips

 


 


       Projekt Luntz                     Realisierung Giacomelli


Abtragung des Welschen Hauses
1880'/1890' Jahre



 

 

ZWEITER ERZÄHLER: Die St. Lukas Glasmalerei von Carl Glössl ist vor allem durch die Mitarbeit an der Erstellung der Kirchenfenster der Pfarrkirche Wien-Breitensee
St. Laurentius
(Grundsteinlegung am 22. April 1896) bekannt geworden. Die neun riesigen, ca. 12 Meter hohen bunten Glasfenster im Hochaltarraum sowie im südlichen und nördlichen Querschiff bilden – wie man dem Kirchenführer entnehmen kann – ein geschlossenes Programm, nämlich – der Bedeutung des Gotteshauses als Kaiser-Jubiläumskirche entsprechend – eine Darstellung der tiefen Kreuzverehrung des Hauses Habsburg.
Die Glasbilder in der Apsis beim Hochaltar verweisen auf das Erlösungswerk Christi und sein Weltenrichtertum (Christus auf dem Kreuzweg, die Schmerzensmutter Maria mit dem toten Jesus, rechts darunter die Kaiserin Helena, der die Auffindung des hl. Kreuzes zugeschrieben wird, Christus als Weltenrichter; jene in der Apsis des rechten Querschiffs erinnern an die Entstehung des christlichen Kaisertums und das Werden des Hauses Habsburg (Kaiser Konstantin zu Pferd, dem ein Engel vor der entscheidenden Schlacht gegen Maxentius das Kreuz mit den Worten „In hoc signo vinces“ zeigt, König Rudolf von Habsburg, der die Huldigung der Kurfürsten entgegennimmt, Kaiser Ferdinand II., der vor dem Kreuz um Hilfe im Kampf gegen den Protestantismus betet. Im linken Querschiff sehen wir Szenen aus der Geschichte der Habsburgischen Dynastie (Kaiser Karl V. als Befreier, Herzog Leopold III. von Babenberg als heiligmäßiger Vorfahre des Hauses Habsburg, dessen Heiligsprechung (1485) in die Regierungszeit Friedrichs III. fiel, Kaiser Leopold I. und Marco D’Aviano als Retter aus der Türkennot.

ERSTER ERZÄHLER: Wie schon aus dem Protokoll vom 26. Jänner 1900 zu ersehen war, stand die Entstehung des großen Votivfensters der Minoritenkirche in engem Zusammenhang mit der geplanten Umgestaltung der Kirche im Zuge der Schaffung des großen Minoritenplatzes. welche in den Achziger- und Neunzigerjahren des 19. Jh. ihren Anfang nahm, und über die der damalige Präfekt Carlo Vanni am 3. März 1893 die Congregazione ausführlich informierte. Damals wurden zahlreiche Gebäude entfernt, welche um das Gotteshaus standen und enge Gässchen hatten entstehen lassen; auf diese Weise bildete nun die Kirche letztlich das Zentrum des Platzes und weckte das Bedürfnis nach einer Verschönerung ihres Aussehens. In Anbetracht dieser städtebaulichen Maßnahmen wandte sich daher die Kongregation an die Wiener Stadtverwaltung mit der Bitte, durch finanzielle Unterstützung eine würdige Restaurierung der Kirche zu ermöglichen. Der Auftrag zur Schaffung eines Regulierungsprojektes und somit auch zur Umgestaltung der Minoritenkirche erging an den schon erwähnten Prof. Viktor Luntz. Nach seinen Plänen begann man mit der Neustrukturierung des Minoritenplatzes im August 1903. Doch die Verwirklichung seines Projekts der Kirchenrenovierung wurde – vor allem aus finanziellen Gründen - nur mehr teilweise ins Auge gefasst. Vielleicht spielte da auch sein früher Tod noch im Jahre 1903 eine Rolle. Die Bauleitung übernahm darauf Luigi Giacomelli, der an jener Sitzung der Consulta der Congregazione am 26. Jänner 1900 teilgenommen hatte und später selbst Mitglied der italienischen Vereinigung wurde. Zusammen mit dem Präfekten Verdin von Valsilvella verfasste er im Jahre 1909 auch das Buch Die italienische Nationalkirche zu ‚Maria Schnee’ in Wien (Minoritenkirche) einst und jetzt.

ZWEITER ERZÄHLER: Dennoch erfuhr das Äußere der Kirche in den Jahren bis 1906 einige deutliche Veränderungen; so entstand vor allem der Anbau der Arkaden an der Südseite mit dem darüberliegenden „Wohntrakt“, in dem sich jetzt die „Sala Congregazione“, die italienische Schule und das Archiv befinden und an der Ostseite kam es zur Errichtung des sogenannten „Minoritenhauses“ mit der Sakristei. In letzterer erhielt der so verdienstvolle Präfekt Verdin auch einen Gedenkstein. Unverändert blieb leider der im Laufe der Geschichte mehrmals beschädigte und eigentlich nur nordürftig geschlossene Kirchturm. Schon fünf Jahre nachdem man die kupferne Kuppel des Turmes wegen der Einsturzgefahr des Campaniles wieder abtragen musste, klagte der Minoritenpater Barnabas Strasser am Ende seiner Chronik anno 1766: ‚Gedemütigt steht also der Turm da, der nach jenem von St. Stephan den ersten Rang in Wien einnimmt; seit fünf Jahren wartet er mit entblößtem und gebeugtem Haupt, dass man ihm zu Hilfe kommt, aber niemand erbarmt sich seiner’ (die Übersetzung aus dem Lateinischen besorgte Giovanni Salvadori in seinem Buch über die Minoritenkirche, 1894).

ERSTER ERZÄHLER: In der Einladung zur Festmesse am 25. November 1900 zu Ehren des Spenders jenes großen Votivfensters, das heute als ein wichtiges Kunstwerk unserer Kirche angesehen wird, drückte der Präfekt Verdin den Wunsch aus, es möge das hochherzige Beispiel des verewigten Oskar Bene Nachahmer finden; diesem Wunsch können wir uns heute nur anschließen, denn nicht nur der Turm der Minoritenkirche wartet auf seine Wiederherstellung, sondern auch die Orgel dieses Gotteshauses, das Instrument der heiligen Cäcilia, ist in dieser Kirche, die über unsere Landesgrenzen hinaus als Stätte bedeutender Konzerte gewürdigt wird, seit Jahren verstummt.


Manfred Zips

 


Pfarrkirche Breitensee
Entstehung des christlichen Kaisertums
Bild oben und Details unten: Haeferl, cc-by-sa 3.0


       Rudolf                 Konstantin            Ferdinand II.


Marco d'Aviano                        Leopold I.


Franz Joseph & Elisabeth

 

Zum Weiterlesen:
Ansprache Mons. Pasquinellis beim Hochamt am 25.11.1900

Meditation über die Heiligen der Ital. Kongregation

Artikel über die Geschichte der Ital. Kongregation
Festakt 230 Jahre italienische Minoritenkirche

Eröffnungsansprache Jubiläumsausstellung
Eröffnung unserer Jubiläumsausstellung