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Lange Nacht der Kirchen 2018 |
Meditationen: • Antonius von Padua (2009) • Giordano da Giano (2009) • Jacopone von Todi (2009) • Franziskus v. Assisi (2010) • Coelestin V. (2011) • Westportal (2011) • Ludwig von Toulouse (2012) • Heilige der Kongregation (2013) • Heilige Cäcilie (2014) • 790 Jahre Minoriten (2014) • 230 Jahre Maria Schnee (2014) • Klemens M. Hofbauer (2014) • Katharinenkapelle (2015) • 390 Jahre It. Kongregation (2015) • Frauen im Banne der Minoritenkirche (2016) • Eine Liebeserklärung in Stein (2016) • Franziskus v. Assisi (2018) L.N.K. in der Minoritenkirche |
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Musik
ERZÄHLER: In der berühmten Sammlung ‚Blümlein des heiligen Franziskus von
Assisi’, den Fioretti, die – ebenso wie Dantes Divina Commedia - am
Anbeginn der italienischen Literatur stehen, fragt der demütige und
gottesfürchtige Bruder Masseo den verehrten Vater der Minderbrüder: „Warum
dir? warum gerade dir?“ „Was meinst du damit?" wendet
Franziskus ein. „Warum läuft gerade dir alle Welt nach? Du bist nicht
schön von Gestalt, du bist nicht sehr gelehrt und du bist nicht adelig!
Warum gerade dir?“ Als Franziskus, der Poverello von Assisi, diese Worte
vernimmt, wendet er sein Angesicht gegen den Himmel und verharrt regungslos
einige Minuten in dieser Haltung. Dann kniet er nieder und spricht zu seinem
Mitbruder: „Du willst wissen, warum gerade mir das zuteil geworden ist?
Gott wollte in Seiner Barmherzigkeit allen Menschen dieser Welt durch mich,
den Sünder, den Untauglichen, den Armen und Einfältigen, Trost zusprechen,
gleichzeitig aber auch die Mächtigen und Stolzen beschämen und aufrütteln
und zur Umkehr bewegen.“
Wahrscheinlich ist bei keinem anderen Heiligen des Mittelalters die
religiöse Ausstrahlung – trotz einer beträchtlichen literarischen
Hinterlassenschaft - so eng mit seinem konkreten Leben verwoben wie
bei Franz von Assisi. Schon er selbst verwies in der letzten Schrift, dem
‚Testament’, kurz vor seinem Tod im Jahre 1226 entstanden, auf seinen
allmählichen Wandel vom Sünder zum „servus Dei“, zum ‚Knecht Gottes’ und
nennt diesen Lebensrückblick eine ‚Erinnerung, Ermahnung, Aufmunterung’ für
seine Brüder; keineswegs aber sei damit eine zweite Regel gemeint. Es geht
ihm darum, der Welt zu zeigen, dass man auch heute – im Bewusstsein der
eigenen Unzulänglichkeit - ein Leben nach dem Evangelium führen könne.
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Als Sohn des reichen Tuchhändlers Pietro di Bernardone
verbrachte der junge Franziskus, welcher eigentlich auf den Namen
Johannes getauft worden war, eine unbeschwerte und freudenreiche
Jugendzeit, bis ihn zwei Begebenheiten aus seiner Sorglosigkeit
herausrissen: eine einjährige Kriegsgefangenschaft in Perugia im
Jahre 1202 und anschließend eine längere Krankheit, die den Jüngling
ans Bett fesselte. – Und dann kam das Gotteserlebnis in dem einsamen,
halb zerfallenen Kirchlein San Damiano. Dorthin zog sich Franziskus
jetzt gerne zurück, um vor dem alten, im romanisch-byzantinischen Stil auf
Holz gemalten Bild des Gekreuzigten zu beten; zwar war ihm der Glaube an
Gott schon seit seinen Kindertagen sehr vertraut, doch er spürte nun – nach
diesen ersten leidvollen Erfahrungen – ein stärkeres Verlangen, dem
Allmächtigen zu begegnen.
FRANZISKUS: Allmählich lernte ich zu verstehen, dass die lange Krankheit im
Grunde genommen eine Gnade war. Sie hatte die Aufgabe eines Pfluges,
der Furchen in die Erde gräbt, um das Aufblühen neuen Lebens im Frühjahr zu
ermöglichen. Sie raubte mir die naive Unbekümmertheit und gab mir einen
neuen Blick auf das Wichtige in meinem Leben. Vor allem nahm ich nun
erstmals Armut und Leid wahr. Jetzt verstand ich plötzlich den Psalmvers:
Sie haben Augen und sehen nicht. Ich habe früher nicht gesehen! Jetzt
nahm ich die Sonne mit neuen Augen wahr, und ebenso den Mond, die Erde mit
ihrer Pflanzen- und Tierwelt, aber auch die Mitmenschen, meine Schwestern
und Brüder. Alles erschien mir wie neu: die Sonnenauf- und –untergänge, die
ginsterbewachsenen Hügel, die Mohnfelder. Und damals lernte ich auch neu zu
beten. Dank sei Gott, Dank der Erde, Dank der Natur! GOTT, wer war
Gott für mich? Es fiel mir schwer, diese Frage zu beantworten. Als Sohn
umbrischer Erde war mir – wie allen Bewohnern dieses Landes - der Glaube an
Gott selbstverständlich. Ich erlebte Ihn, den Allmächtigen, wie alle
Menschen hier, in unseren Olivenhainen und in unserer üppigen,
verschwenderischen Natur. Es ist wohl kaum wirklich möglich, sich diesem
Gotteserlebnis zu entziehen! Und dennoch war es für mich ein großer Schritt
von diesem alltäglichen Glauben zu dem Gefühl der Hingabe, das mich
nun in Spoleto überwältigte und mich das Pauluswort sprechen ließ: ‚Was
willst Du, dass ich tun soll, Herr!’
Da vernahm ich die Stimme des Herrn, der zu mir sprach: „Franziskus,
siehst du nicht, dass mein Haus in Verfall gerät? So geh und stelle es mir
wieder her!“
ERZÄHLER: Der große Bonaventura macht die Reaktion Francescos auf diesen
göttlichen Auftrag zum Spiegelbild früher minoritischer Geistlichkeit:
Einerseits begann Franziskus in einem unmittelbaren wörtlichen Verständnis
jener Worte des Herrn als einfältiger Gottesknecht mit dem Wiederaufbau des
verfallenen Kirchleins, andererseits lehrte der Poverello in späteren Jahren
seine Brüder, dass er durch die Eingebung Gottes die spirituelle Bedeutung
des himmlischen Auftrages sehr wohl erkannte, welche sich auf jene Kirche
bezog, die sich Christus mit seinem Blut erworben hatte.
Das Bewusstsein, dass es der Gekreuzigte war, der ihm eine Weisung
gegeben hatte, eröffnete in Franziskus eine innige Beziehung zu dem
leidenden und damit die Erlösung vollziehenden Christus. Diese neue Haltung
erklärt auch seine künftige Solidarität mit den Armen, Hilflosen und
Ausgestoßenen. Hören wir, was er darüber in seinem Testament sagt:
FRANZISKUS: „Als ich in Sünden war, kam es mir sehr bitter vor, Aussätzige
zu sehen. Und der Herr selbst hat mich unter sie geführt, und ich habe ihnen
Barmherzigkeit erwiesen. Und da ich fortging von ihnen, wurde mir das, was
mir bitter vorkam, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt.
Und darnach hielt ich eine Weile inne und verließ die Welt. Und der Herr gab
mir in den Kirchen einen solchen Glauben, dass ich in Einfalt so
betete und sprach: ‚Wir beten dich an Herr Jesus Christus – in allen deinen
Kirchen, die in der ganzen Welt sind – und preisen dich, weil du durch dein
heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.’“ |
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ERZÄHLER: Diese Hinwendung zu den Armen machte Franziskus gleichsam zum Dieb
an dem elterlichen Besitz. So empfand es zumindest sein Vater Pietro di
Bernardone, der seinen Sohn schließlich – nachdem dieser in dem
nahegelegenen Foligno kostbare
Stoffe heimlich verkauft hatte – vor dem Bischof von Assisi, Guido,
verklagte. Lassen wir Franziskus selbst von jener denkwürdigen Begebenheit
vor der alten Kathedralkirche „Santa Maria Maggiore“ erzählen.
FRANZISKUS: Wer jung ist, wie ich es damals war, der geht keine Kompromisse
ein, wenn es sich darum handelt, seine Überzeugungen in die Tat umzusetzen.
Mir erschien meine Vorgangsweise durchaus gerechtfertigt und ganz im Sinne
des göttlichen Gebotes, den Armen am Reichtum meines Vaters großzügig Anteil
zu geben. Natürlich sah mein Vater die Dinge anders, und in seinem
verletzten Stolz war er nicht bereit, eine davon abweichende Ansicht gelten
zu lassen: Seines Erachtens war sein Sohn verrückt geworden. Tatsächlich
musste sich für die Menschen rund um mich ja wirklich diese Meinung
aufdrängen. Man hatte sich sein Christentum mit Kirchgang und Messbesuch
bequem zurechtgezimmert und es seinem Alltagsleben angepasst; und jetzt kam
da jemand, der der bürgerlichen Gesellschaft die Meinung ins Gesicht
schleuderte, dass SIE der Dieb sei und die Armut der Vielen
verursacht habe. Ja, das gab ich in leidenschaftlichem jugendlichem Zorn
meinem Vater zu verstehen, als ich mich all meiner vornehmen Kleider
entledigte und nun nackt vor dem Bischof und vor allen anwesenden
Menschen stand: „Von nun an heiße ich nicht mehr Franziskus, Sohn des
Pietro di Bernardone, sondern ich bin Franziskus, der Gott seinen Vater
nennen darf!“ – Ich weiß nicht, war es Scham oder Liebe – oder beides -,
die den Bischof veranlasste, seinen Mantel um meine Schultern zu werfen. |
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ERZÄHLER: Und wieder können wir das Testament Francescos als Leitfaden
heranziehen: „Niemand zeigte mir, was ich zu tun hätte, doch der Höchste
selbst hat mir geoffenbart, dass ich nach der Vorschrift des heiligen
Evangeliums leben sollte“. – Franziskus bezieht sich hier auf ein
Erlebnis, das er in dem Porziuncola-Kirchlein, zu Füßen der Stadt
Assisi, wahrscheinlich am 24. Februar 1208, hatte. Dort hörte er das
Evangelium von der Aussendung der Jünger, wohl nach Matthäus aus dem
10. Kapitel, vielleicht ergänzt durch die analogen Stellen aus Markus und
Lukas, um zu verdeutlichen, was die Gefährten Jesu nicht besitzen dürfen:
kein Gold und kein Silber, keine Geldbörse, keinen Reisebeutel, kein Brot,
keinen Stab, keine Schuhe und keine zwei Leibröcke; in dieser
Schutzlosigkeit und Ausgeliefertheit sollten sie das Reich Gottes und
die Buße predigen. Als Franziskus das vernahm, freute er sich und
rief: „Das ist es, was ich will, das ist es, was ich suche, das begehre
ich von ganzem Herzen zu tun“. Es war das begeisterte Verlangen des
jungen Mannes, die Forderung des Evangeliums buchstäblich zu erfüllen; darum
legte er Schuhe, Stab und Beutel ab, machte sich eine Kutte in
Kreuzesgestalt aus grobem Stoff und band sein neues Kleidungsstück mit einem
Strick zusammen. So ging er zu den Menschen und begann im Auftrag Jesu, die
Buße zu predigen, wobei er jeden, der ihm begegnete, mit den Worten ansprach
„Der Herr gebe dir seinen Frieden!“ Thomas von Celano betont
ausdrücklich, dass die schlichten Worte Francescos wie loderndes Feuer in
die Herzen der Zuhörer drangen, und nicht wenige seien unter Mitwirkung
des Herrn Kinder des Friedens geworden.
Musik |
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FRANZISKUS: Schon während meiner Einsiedlertage verspürte ich, dass ich nicht
für die Einsamkeit geschaffen war, sondern für die Gemeinschaft.
Immer wieder flehte ich zu Gott, er möge mir Gefährten schicken, die
mit mir in völliger Armut, und somit frei von jeglichen weltlichen
Sorgen und Verpflichtungen, die frohe Botschaft Gottes verkünden könnten.
Und wirklich kamen sie schon sehr bald aus allen sozialen Schichten: reiche
Bürger, Adelige, Kleriker, Handwerker, Fahrende; Bernhard von Quintavalle,
Petrus Catanii, Ägidius, Filippo, Masseo, Leone, Rufinus, Pazificus,
Silvestro, Angelo von Rieti, um nur einige zu nennen. Wir gingen gemeinsam,
aber auch zu zweit oder zu dritt, zu den Menschen, ließen uns von
Schmähungen und Beschimpfungen nicht beirren, freuten uns aber umso mehr,
wenn wir freundlich und liebevoll aufgenommen wurden. Die größte Freude
erlebten wir allerdings, als Papst Innozenz unsere apostolische
Lebensweise durch freundliche und ermutigende Worte bestätigte. Nach der
Rückkehr aus Rom zogen wir durch mein geliebtes Spoletotal zuerst nach
Rivotorto und dann weiter zu der nahe gelegenen Porziuncola-Kirche. Es waren
diese Tage die glücklichsten in meinem Erdenleben. Damals hatte ich die
Kraft und die Begeisterung, nicht nur hinauszugehen und Buße zu predigen
oder Briefe zu schreiben, ich wollte auch für meine Gefährten sorgen wie
eine Mutter für ihre Kinder. Besonders das Kirchlein S. Maria degli Angeli
von Porziuncola stimmte mich unendlich froh, weil ich spürte, dass man dort
der Fürsprache der Gottesmutter in besonderer Weise begegnen konnte und dass
sich gerade hier – mehr als anderswo in der Welt - der Ort der
Sündenvergebung befand.
In diesen Jahren schrieb ich viel: Briefe, Ermahnungen für meine
Mitbrüder, Gebete, Meditationen, Loblieder.
Ein Brief, an Bruder Antonius von Padua, ist mir in sehr
guter Erinnerung. Wir sprachen damals im Kreise der Gefährten über die
Wichtigkeit theologischer Ausbildung für unsere Berufung als Bußprediger,
und dabei nannte man immer wieder ehrfurchtsvoll den Namen dieses jungen
portugiesischen Mitbruders, den ich nur einmal bei unserem Generalkapitel in
Assisi im Jahre 1221 zu Gesicht bekam. Ich versuchte in dem Schreiben, meine
Verehrung für diesen Gelehrten durch die Anrede „mein Bischof“ auszudrücken:
Brief an den heiligen Antonius: Dem Bruder Antonius, meinem
Bischof, wünsche ich, Bruder Franziskus, Heil. Ich erlaube dir, dass du den
Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn du nur nicht durch dieses
Studium den Geist des Gebetes
und der Hingabe auslöschest, wie es in der Regel steht.
Noch einen anderen mir sehr wichtigen Gedanken versuchte ich in
einem Brief zu formulieren, diesmal an Kleriker und Laien, Männer und
Frauen, die in verschiedenen religiösen Gemeinschaften lebten. Dabei ging es
mir um das Beispiel, welches uns Jesus Christus gab, das ich aufzunehmen und
an meine Zeitgenossen weiterzugeben trachtete. Vereint in diesem Streben
nach einer „Perfectio evangelica“, einem möglichst vollkommenen
apostolischen Leben, vermögen wir „würdige Früchte der Buße zu bringen“,
wie der Evangelist Lukas sagt, ja wir können Christus gleichsam gebären,
indem wir durch ein heiliges Wirken anderen als Vorbild in der Nachfolge des
Erlösers leuchten. |
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ERZÄHLER: An dieser Stelle soll auch der von Franziskus verfasste
Lobpreis Gottes seinen Platz finden, den der Heilige dem Bruder Leo
widmete, wobei er ihn aufforderte, dieses Blatt sorgfältig bis zum Tage
seines Todes aufzubewahren. Zweifellos ist es diesem Umstand zu verdanken,
dass diese “Chartula fratri Leoni data“ bis heute erhalten geblieben
ist. Doch damit nicht genug; Bruder Leo versah dieses von Franziskus mit
eigener Hand geschriebene Dokument auf der Rückseite unter anderem mit dem
Hinweis: Der selige Franziskus hielt zwei Jahre vor seinem Tod in der
Niederlassung des La Verna zu Ehren der seligen Jungfrau Maria, der
Mutter Gottes, und des seligen Erzengels Michael ein vierzigtätiges Fasten
vom Feste der Aufnahme der heiligen Jungfrau Maria bis zum Feste des
heiligen Erzengels Michael im September. Und es legte sich die Hand des
Herrn auf ihn; nach Vision und Anrede eines Seraphs und Einprägung der
Wundmale Christi in seinem Leib verfasste er diese Lobpreisungen, die
auf der anderen Seite des Blattes geschrieben stehen, und schrieb sie mit
eigener Hand, indem er Gott für die ihm verliehene Wohltat dankte. Auch aus
diesem Schriftstück können wir die Fürsorge des Heiligen für die ihm
anvertrauten Brüder ablesen.
Lobpreis Gottes:
Du bist der heilige Herr, der alleinige Gott, der du Wunderwerke
vollbringst.
Du bist der Starke.
Du bist der Große.
Du bist der Erhabenste.
Du bist der allmächtige König, du heiliger Vater,
König des Himmels und der Erde.
Du bist der dreifaltige und eine Herr, der Gott aller Götter.
Du bist das Gute, jegliches Gut, das höchste Gut, der Herr, der
lebendige und wahre Gott.
Du bist die Liebe, die Caritas.
Du bist die Weisheit.
Du bist die Demut.
Du bist die Geduld.
Du bist die Schönheit.
Du bist die Milde.
Du bist die Sicherheit.
Du bist die Ruhe.
Du bist die Freude.
Du bist unsere Hoffnung und Fröhlichkeit.
Du bist die Gerechtigkeit.
Du bist das Maßhalten.
Du bist all unser Reichtum zur Genüge.
Du bist die Anmut.
Du bist die Barmherzigkeit.
Du bist der Beschützer.
Du bist unser Wächter und Verteidiger.
Du bist die Stärke.
Du bist die Erquickung.
Du bist unsere Hoffnung.
Du bist unser Glaube.
Du bist unsere Liebe.
Du bist unsere ganze Wonne.
Du bist unser ewiges Leben: Großer und wunderbarer Herr,
allmächtiger Gott, barmherziger Retter.
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ERZÄHLER: Franziskus erlebte aber noch eine weitere große Freude und
Genugtuung als Frucht seines Wirkens und seiner Predigttätigkeit:
Unmittelbar an dem Platz vor dem Dom S. Rufino lebte eine der bedeutendsten
adeligen Familien Assisis, nämlich Favarone di Offreduccio und seine Frau
Ortolana mit ihren drei Töchtern Klara, Agnes und Beatrice. Als Klara
etwa siebzehn Jahre alt war, erfuhr sie von Franziskus und fühlte sich
sogleich von seiner Lebensform angesprochen. Als sich die Beiden schließlich
auch persönlich kennenlernten, gelang es dem Poverello, das Mädchen für
seine Ideen zu begeistern und sie zum Verzicht auf die Welt und alle
irdischen Dinge zu bewegen. Am Palmsonntag des Jahres 1212 verließ Klara
heimlich des Nachts ihren elterlichen Palast und stieg zur
Porziuncola-Kirche hinab, wo sie von der versammelten Brüdergemeinschaft
schon erwartet wurde. Feierlich schnitt ihr Franziskus die langen Haare ab
und erteilte ihr so die Jungfrauen-Weihe; darauf brachte er sie
sofort in das nahegelegene Frauenkloster San Paolo und bald darauf in das
Benediktinerinnenkloster Sant’Angelo di Panzo, um sie so dem Zugriff ihrer
Familie zu entziehen. Nur sechzehn Tage später flüchtete dann die etwa
fünfzehnjährige Schwester Agnes zu Klara. Beide Mädchen brachte
Franziskus kurz darauf nach S. Damiano, wo sich diesen dann noch eine dritte
Frau anschloss. San Damiano blieb nun bis auf weiteres die Wohnstätte
Klaras und ihrer Gefährtinnen.
ERZÄHLER: Wenn man über Franziskus spricht, ist irgendwann auch von seiner
innigen Beziehung zur Natur die Rede. Dabei dachte der Heilige
natürlich nicht an Naturschutz im modernen Sinne, vielmehr bewegte ihn der
Gedanke, dass der Mensch als Kind Gottes zur gesamten Schöpfung – ob belebt
oder unbelebt - in einem geschwisterlichen Verhältnis steht. Schon Thomas
von Celano erwähnte die bekannte Vogelpredigt Francescos nahe Bevagna
im Spoletotal, wo dieser - „um der übergroßen Liebe des Schöpfers willen“ -
eine große Schar von Vögeln begrüßt, wie wenn sie mit Vernunft begabt wären.
Besonders eindrucksvoll wird die Haltung Francescos gegenüber der
Schöpfung in ihrer Gesamtheit durch die berühmte Erzählung Der Wolf von
Gubbio veranschaulicht, die in den altitalienischen Fioretti überliefert
ist. Die Bewohner von Gubbio, einer Stadt in Nordumbrien, werden von
einem Wolf in Schrecken gehalten, der nicht nur für das Vieh, sondern
auch für die Menschen äußerst gefährlich und lebensbedrohend ist.
Schließlich wagt es keiner mehr, die Stadt zu verlassen, nur Franziskus geht
dem Raubtier furchtlos entgegen und gebietet ihm im Namen Gottes, von der
Gewalt abzulassen. Als das Tier daraufhin eingeschüchtert seinen Gehorsam
bekundet, vertreibt es der Heilige nicht, sondern er verspricht dem ‚Bruder
Wolf’, für dessen Nahrung Sorge zu tragen. Gehorsam wie ein Lamm folgt nun
das Tier dem Fratello in die Stadt, wo daraufhin ein Vertrag zwischen den
Bewohnern und dem Wolf geschlossen wird. Franziskus nimmt also bei dieser
Gelegenheit nicht nur das Raubtier, sondern auch die Menschen in die Pflicht
und fordert von beiden Seiten, sich auf einen fairen Frieden einzulassen.
Sogleich verspricht das Volk, das Tier regelmäßig mit Futter zu versorgen.
Darauf herrscht in der Stadt große Freude und die Menschen loben Gott und
danken dem Heiligen für seine Hilfe. Zwei Jahre lang fütterten nun die
Bewohner von Gubbio den Wolf, und als er zuletzt starb, trauerten die
Menschen über seinen Tod, denn durch den täglichen vierbeinigen Besucher
wurden sie stets erneut an die Heiligkeit und die Tugenden Francescos
erinnert.
Natürlich versinnbildlicht diese erbauliche Fabel den unbeirrbaren
Friedenswillen Francescos, natürlich dokumentiert sie, dass
Feindschaften in gegenseitigem Misstrauen und in Furcht vor dem Fremden ihre
Wurzeln haben, sie bringt jedoch auch den tiefen Respekt des Heiligen vor
allen Geschöpfen Gottes zum Ausdruck, auf dem der gesamte Handlungsablauf
dieser Erzählung basiert.
Doch kehren wir jetzt aus dem Reich der Legende zurück zur
Lebenswirklichkeit Francescos, wie sie seine Biographen beschrieben haben!
Im Jahre 1224 trugen sich die geheimnisvollen Ereignisse auf dem
Berg La Verna zu, einer Anhöhe zirka 160 km nordwestlich von Assisi, im
toskanischen Casentino gelegen. Höhepunkt dieses Geschehens war die
Stigmatisation des Heiligen. Angeregt durch die Nachempfindungen des
bekannten italienischen Schriftsteller Carlo Carretto, dürfen wir
Franziskus folgende Eindrücke in den Mund legen: |
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FRANZISKUS: Der Ort, wohin ich mich in diesen Tagen der Sorge um meinen Orden
am liebsten zurückzog, war der Berg von La Verna, wo die Brüder eine
kleine Einsiedelei errichtet hatten. So beschloss ich, die vierzigtägige
Fastenzeit vor dem Fest des Erzengels Michael am 29. September in
dieser totalen Abgeschiedenheit zu begehen. Meine Gedanken kreisten damals
ausschließlich um die Passion Christi, und ich erlebte mein eigenes
Leid als ein Stück des Leidens unseres Herrn, doch es fiel mir vorerst sehr
schwer, meine Zukunftsängste durch das Gebet zu besänftigen, schon allein
deshalb, weil meine Getreuesten mich immer wieder aufforderten, erneut die
Ordensführung zu übernehmen. um den Zerfall der so groß gewordenen
Gemeinschaft zu verhindern. In der Nacht nach unserer Ankunft betete ich
ohne Unterlass jenen Psalm 22, den Jesus am Kreuz gesprochen hatte:
Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Die Aufforderung
der Brüder, mich nochmals an die Spitze unserer Gemeinschaft zu stellen,
ließ das Verantwortungsgefühl für meinen Orden zentnerschwer auf mir lasten;
doch schließlich erkannte ich, dass das an Abraham gerichtete Wort Gottes:
Bring mir deinen Sohn als Opfer dar auch für mich galt und ich
spürte, dass ich das Schicksal der Minderbrüder in die Hand des
Allerhöchsten legen sollte, dass ich meine Vorstellungen und Wünsche zu
meinem eigenen Wohlergehen Gott zu opfern hatte – ebenso wie Jesus einstens
seine Hingabe zum Heil der Menschen dem Vater darbrachte. Darauf bat ich
Christus, er möge mich seine Schmerzen am Kreuze spüren lassen und erflehte
Seine Liebe für die sündige Menschheit.
Bei diesen Gebeten wurde mir klar, dass letztlich nicht unser
Handeln, sondern nur das Lieben zählt. Nicht die menschliche Weisheit
und unser rastloses Tun können die Welt retten, sondern einzig die Liebe
Gottes, die in jedem von uns lebt und in uns wirken soll. Mit menschlichen
Maßstäben gemessen war das Leben Jesu eine Niederlage, jedoch mit den Augen
der Liebe besehen legte es den Grundstein zu unserer Erlösung und besiegte
sogar den Tod. Ich schloss die Augen und betete mit dem Psalmisten (Nr.
139): Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.
Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich in gleißendem Lichte einen
Seraph über mir schweben, der jedoch mit ausgebreiteten Händen und
aneinandergelegten Füssen ans Kreuz geheftet war. Und plötzlich verspürte
ich einen heftigen Druck gegen meinen Körper und da wusste ich, dass mir
Christus begegnet war. Nein, eine tiefere mystische Erfahrung konnte es
nicht geben! Freude und Schmerz erfüllten gleichzeitig mein Herz und
meine Seele, und plötzlich war mir klar, was Erlösung bedeutete. Ich sah das
Tor zum Paradies weit offen!
ERZÄHLER: In den folgenden Wochen verschlechterte sich der
Gesundheitszustand Francescos immer mehr, doch dieser Umstand konnte dem
armen Bruder aus Assisi seine innere Glückseligkeit nicht rauben. Er wusste,
dass er nur mehr kurze Zeit zu leben hatte, und dennoch – besser gesagt:
gerade deshalb - schuf er im Winter dieses Jahres, während eines
Aufenthaltes bei den Schwestern von S. Damiano seinen berühmten Lobpreis
Gottes, den Sonnengesang, oder – wie er im Italienischen
zutreffender genannt wird - Il cantico delle creature, den ‚Lobgesang
auf Gott durch seine Geschöpfe’. Viel ist über diese Dichtung
geschrieben worden, die am Anfang der italienischen sakralen Poesie steht,
doch für uns ist hier nur eines wichtig: Franziskus wollte ein Gebet
schaffen. Thomas von Celano hat dies mit folgenden Worten zum Ausdruck
gebracht: Damals dichtete er das Loblied auf die Geschöpfe und feuerte sie
an, nach Kräften den Schöpfer zu preisen.
REZITATOR A:
Sonnengesang
Erhabenster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit
und die Ehre und jegliche Benedeiung.
Dir allein, Erhabenster, gebühren sie
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.
Gepriesen seist du, mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
zumal der Herrin, Schwester Sonne,
denn sie ist der Tag,
und spendet das Licht uns durch sich.
Und sie ist schön und strahlend in großem Glanz
Dein Sinnbild trägt sie, Erhabenster.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Bruder Mond und die Sterne,
am Himmel hast du sie gebildet,
hell leuchtend und kostbar und schön.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Bruder Wind und durch Luft und Wolken
und heiteren Himmel und jegliches Wetter,
durch welches du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es
und demütig und kostbar und keusch.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und es ist schön und liebenswürdig
und kraftvoll und stark.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernährt und lenkt
und mannigfaltige Frucht hervorbringt
und bunte Blumen und Kräuter.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Schwachheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Erhabenster, werden sie gekrönt.
Gepriesen seist du, mein Herr,
durch unseren Bruder, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen.
Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.
Selig jene, die sich in deinem allheiligen Willen finden,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leides tun.
Lobet und preiset meinen Herrn
und erweiset ihm Dank
und dient ihm mit großer Demut.
ERZÄHLER: Möglicherweise hat Franziskus seinen Sonnengesang nicht in einem
Zug geschaffen, sondern fügte die beiden letzten Strophen erst etwas später
an: die sogenannte „Friedensstrophe“, um den Bischof Guido von Assisi
mit dem Podestà der Stadt zu versöhnen und um seinen Heimatort für immer zu
einer Stätte des Friedens zu machen, und die abschließende „Todesstrophe“
dürfte unmittelbar vor dem Ableben des großen Fratello entstanden sein. Der
Cantico delle creature begleitete also unseren Heiligen bis zu seinem
Hinscheiden und wurde ihm gleichsam ein Stück der eigenen Existenz.
Franziskus wusste von der Freude der Nachfolge Christi und
diese Kenntnis gab ihm Zuversicht und Fröhlichkeit. Er hat seinen Brüdern
gesagt, dass der Herr sie gerade dazu in die Welt gesandt habe, um in „Wort
und Werk für Seine Stimme Zeugnis“ abzulegen. Es ist ja gerade dies das
Geheimnis des Lebens und Wirkens Francescos, dass er mit seiner ganzen
Existenz bestrebt war, an Jesus Christus und seine liebende Hingabe zu
erinnern. Deshalb galt es ihm auch als das wahre Apostolat aller, die seiner
Lebensform zu folgen bereit waren, dass sie – in des Herrn Fußspuren
wandelnd – „die Menschen mit Fröhlichkeit und Freude zur Liebe Gottes“
hinführen sollten. Musik
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