Der heilige Jacobus von Todi
Fresko im Dom zu Prato

Lange Nacht der Kirchen 2009
in der Minoritenkirche



Jacopone von Todi - Meditation
für die "Lange Nacht der Kirchen" am 05. Juni 2009

verfaßt von Dr. Manfred Zips
 

Jacobus de Benedictis, oder wie man ihn heute zu nennen pflegt: Jacopone von Todi (Jacopone da Todi) ist ohne Zweifel für unsere Zeit nicht leicht zu verstehen. Geboren wurde er um 1230 nahe der umbrischen Stadt Todi, die damals zum Herzogtum Spoleto gehörte.
Über sein Leben berichten nur wenige sichere Quellen, doch ranken sich zahlreiche Legenden, welche zirka 150 Jahre nach Jacopones Tod entstanden sind, um seine Existenz.

Er stammte aus einer vornehmen Familie, die ihm das Studium der Rechte in Bologna ermöglichte. Darnach arbeitete er als Advokat in seiner Vaterstadt Todi, wobei er offensichtlich, hochgeachtet, das Leben aus vollen Zügen genoss, ohne sich viele Gedanken über ein gottgefälliges Handeln zu machen. 1268 heiratete er die junge und als große Schönheit gerühmte Vanna di Bernardino di Guidone. Doch schon bald darauf verunglückte seine Frau beim Einsturz einer Tribüne anlässlich eines Volksfestes tödlich. Dieses tragische Ereignis veränderte das Leben Jacopones radikal. Er zog die Kutte eines Eremiten an, verschenkte nach dem Vorbild Francescos sein Vermögen an die Armen und zog darnach als büßender „Narr in Christus“ durch Umbrien, stets darauf bedacht, durch skurrile und scheinbar verrückte Vorgangsweisen bzw. drastische Symbolhandlungen sich selbst aber ebenso auch das rücksichtslose Streben in der Gesellschaft seiner Zeit nach behaglichem Wohlergehen und egoistischer Selbstverwirklichung der Lächerlichkeit preiszugeben. Zweifellos wollte er auf diese Weise vor allem die lieblose Raffgier und die oberflächliche, sehr oft maßlose, Genusssucht vieler seiner Mitmenschen geißeln;  denn der wahre Narr war jetzt in seinen Augen jener auf Gott vergessende Weltmensch, dem das vergängliche irdische Glück mehr bedeutete als das ewige Heil. Er brach damals mit allem, was ihm früher teuer gewesen war: Name, Ruhm, Stellung, Reichtum bedeuteten ihm nichts mehr.

Dieses Verhalten als scheinbar verrückter Büßer trug ihm schon bald den Spottnamen „Jacopone“ (= ‚närrischer Jakob’) ein, den er gerne übernahm und auch als zukünftiger Mönch beibehielt. Nach zirka zehn Jahren wurde er nämlich als Laienbruder Mitglied des Minoritenordens; im Kloster zeigte er sich stets dazu bereit, trotz seiner einstens angesehenen Stellung die niedrigsten Dienste zu übernehmen und in großer Enthaltsamkeit und in permanenter Buße zu leben. Als Verfechter einer rigorosen Umsetzung franziskanischer Spiritualität geriet er sehr bald in Gegensatz zu dem mit rücksichtslosem Machtstreben agierenden Papst Bonifaz VIII., dem er das Wort entgegenschleuderte: „Papst Bonifaz, wie ein Fuchs tratst du die Herrschaft an, wie ein Wolf regierst du und wie ein Hund wirst du enden“. Da Jacopone öffentlich die Bestrebungen zur Absetzung des Papstes durch die Mitunterzeichnung eines Manifestes der Kardinäle Jacopo und Pietro Colonna vom 10. Mai 1297 unterstützte, exkommunizierte Bonifaz den Bruder 1298 und ließ ihn in den Kerker werfen. Dort hat der Minorit einen Teil seiner schönsten politischen und geistlichen Lieder (Lode spirituali) gedichtet. Erst der Tod des durch König Philipp IV. von Frankreich sowie durch das römische Geschlecht der Colonna letztlich gedemütigten Papstes brachte Jacopone Ende 1303 die Befreiung aus der Gefangenschaft. Nochmals zog der Bruder predigend durchs Land, doch schon am Weihnachtstag 1306 starb er im Konvent San Lorenzo di Collazzone bei Todi. Sein Grab befindet sich heute in der Kirche S. Fortunato zu Todi. Zwar wurde Jacopone nie offiziell kanonisiert, aber dennoch wird er – besonders natürlich in seiner Heimat – heiligmäßig verehrt.

Von außerordentlicher Bedeutung ist der Umstand, dass Jacopone seine geistlichen Lobgesänge in umbrischem Dialekt und nicht in lateinischer Sprache abgefasst hat, obwohl wir sehr wohl annehmen dürfen, dass er – dank seiner Studien während der Jugendjahre - das Lateinische beherrschte. Wenn man somit von den volkssprachlichen literarischen Zentren des mittelalterlichen Italien spricht, muss man deshalb auch der umbrischen Dichtung eines Franz von Assisi sowie eines Jacopone von Todi einen besonderen Platz zuweisen.

In der Lyrik Jacopones zeigt sich ein leidenschaftlicher Gottessucher, der sich tief in die Passion Christi versenken konnte. Der Dichter erweist sich als ein großer Meister der Sprache, dessen Kühnheit und Neuheit seiner Bilder auch heute noch beeindrucken können, umso mehr, wenn man bedenkt, dass seine Gedichte noch vor Dantes Divina Commedia entstanden sind und somit zu den frühen literarischen Zeugnissen des italienischen Volgare gehören. Über die zeitliche Abfolge der Entstehung der einzelnen Werke besitzen wir keinerlei Zeugnisse, und mit der Rekonstruktion einer Chronologie aufgrund inhaltlicher Kriterien wird man gerade bei lyrischer Dichtung sehr vorsichtig sein müssen. Zweifellos rang Jacopone sein ganzes Leben lang um den Ausgleich zwischen Gott und der Welt, wobei er stets mit leidenschaftlichen Worten die Sünde geißelte und vor allem die Gottesliebe ins Zentrum seines dichterischen Schaffens stellte. Die Schrecken des Todes und die Schauer der Vergänglichkeit, welchen in den Bußliedern Ausdruck verliehen wird, sollen letztendlich durch die göttlichen Gnadengaben an die Menschen „Amore“, „Pace“, „Luce“, die sich zu einem gewaltigen Dreiklang zusammenschließen, überwunden werden. Zurecht hat man deshalb auch festgestellt: Jacopones Mystik ist Liebesmystik – vor allem, wie auch sonst in der franziskanischen Spiritualität, Christusmystik. In den zehn Jahren seiner an inneren Kämpfen und Erfahrungen überreichen Wanderzeit hatte Jacopone erkannt, dass die Einsamkeit wohl den Grund legen konnte zu seinem neuen Leben, dass dieses aber dennoch der Gemeinschaft mit den Menschen bedurfte. Vor allem über die Krippe lernte er den Nächsten, aber auch das Nächste zu lieben. Die Weihnachts- und Marienlieder mit ihrer stillen Freudigkeit mögen aus einer Zeit des wiedergefundenen Friedens stammen. Daneben stehen allerdings auch seine Gedichte gegen die Missbräuche der Kirche sowie seine heftigen Angriffe auf Bonifaz. Hier im Gefängnis macht er sicherlich die härteste Schule der Selbsterkenntnis durch. Doch schließlich darf er in dem großen Hymnus auf die ewige Liebe den Sieg feiern: Er fühlt sich nun allem in Liebe verbunden. Damit wandelt sich sein Lied aus der Form des  lyrischen Selbstbekenntnisses schlussendlich zum religiösen Hymnus. In diesen Hymnen hat Jacopone den Dualismus des Büßers endgültig hinter sich gelassen.

Zweifellos zurecht stellten bedeutende Mediävisten den Franziskaner sogar Dante an die Seite und bezeichneten ihn als den wichtigsten religiösen Dichter des mittelalterlichen Italien. Tatsächlich vermag die Poesie Jacopones auch heute noch – nach siebenhundert Jahren - zu berühren und zu ergreifen und ein erschütterndes Beispiel für eine rigorose und selbstlose Gottessuche abzugeben. Faszinierend ist vor allem der exklamatorische Charakter zu Beginn vieler seiner Gedichte, eine ästhetische Besonderheit der Poesie des minoritischen Bruders.

Ergänzend sei noch erwähnt, dass Jacopone wahrscheinlich erstmalig mit seinem berühmten Hymnus Donna de Paradiso eine Lauda drammatica gedichtet hat. Ein Evangelist (wohl Johannes), Maria, Jesus und die Menge bringen die verschiedenen Szenen der Passion Christi zum Ausdruck. Eindrücklich wird das menschliche Leid dargestellt. Der Dichter hat das Thema der Passion von der eindimensional doktrinären Ebene ganz in die meditative Sphäre übertragen, wobei besonders die Klage der Gottesmutter hervortritt. In einer dramatischen, eher volkstümlichen Sprache, wird die Qual des Todes am Kreuz geschildert, wobei die Menschlichkeit Jesu besonders nachdrücklich im Vordergrund steht.

Ausgabe: Jacopone da Todi. Lauden. Italienisch mit deutscher Übertragung von Hertha FEDERMANN, Köln (Hegner-Bücherei) 1967.

 

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